Zusammenfasung

Warum die EU auf langlebige, reparierbare und energieeffiziente Smartphones setzt
Jahrelang waren Smartphones und Tablets ein Paradoxon: technisch hochentwickelt, aber auf kurze Lebensdauer ausgelegt. Zerbrochene Displays, schwache Akkus und veraltete Software führen oft dazu, dass funktionierende Geräte viel zu früh ersetzt werden. Das Ergebnis: Berge an Elektroschrott, unnötiger Ressourcenverbrauch und verpasste Chancen für Hersteller, langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen.
Die Europäische Union stellt diese Logik jetzt auf den Kopf.
Am 20. Juni 2025 ist ein neues EU-Regelwerk in Kraft getreten, das die bislang ambitioniertesten Standards für mobile Endgeräte setzt. Ab sofort müssen Smartphones und Tablets auf dem EU-Markt deutlich langlebiger, leichter zu reparieren und energieeffizienter sein. Für Hersteller bedeutet das einen tiefgreifenden Wandel: Lineare Geschäftsmodelle, die auf schnellen Gerätewechsel setzen, weichen zirkulären Strategien, die Produktlebenszyklen verlängern – und neue Umsatzpotenziale erschließen.
Dieser regulatorische Vorstoß ist Teil des Green Deal der EU und des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft. Die Botschaft ist klar: Produkte in Europa sollen länger genutzt werden, weniger Ressourcen verbrauchen und den Verbrauchern echte Alternativen zum Neukauf bieten. Zirkularität ist kein Nischenthema mehr – sie wird zum neuen Maßstab für Wettbewerbsfähigkeit.
Die zentralen Anforderungen: Haltbarkeit, Reparierbarkeit, Transparenz
Die neuen EU-Vorgaben setzen nicht nur vage Nachhaltigkeitsziele – sie definieren klare, messbare Standards, die Hersteller erfüllen müssen. Hier sind die Kernanforderungen im Überblick:
1️⃣ Strengere Haltbarkeitsstandards: Falltests, Wasser- und Staubschutz, Akkuleistung
Geräte, die beim ersten Sturz unbrauchbar werden, sind künftig nicht mehr akzeptabel. Laut neuer Vorgabe müssen Smartphones mindestens 45 Stürze unbeschadet überstehen. Zusätzlich gelten strengere Anforderungen an den Schutz vor Kratzern, Staub und Wasser – die IP-Schutzklassen (z. B. IP67 oder IP68) gewinnen damit noch stärker an Bedeutung.
Auch die Akkulebensdauer wird deutlich verbessert: Nach 800 vollständigen Ladezyklen muss der Akku noch mindestens 80 % seiner ursprünglichen Kapazität aufweisen. Damit wird eine der häufigsten Ursachen für frühen Geräteersatz – verschlissene Akkus – direkt adressiert und die Produktlebensdauer deutlich verlängert.
2️⃣ Echte Reparierbarkeit: Ersatzteile, Softwarezugang und Demontage
Die EU schließt die Lücken, die Smartphone-Reparaturen bisher teuer oder unmöglich gemacht haben. Zentrale Anforderungen sind:
- Ersatzteilverfügbarkeit für 7 Jahre nach Marktauslauf des Modells — Lieferung innerhalb von 5–10 Werktagen.
- Diskriminierungsfreier Softwarezugang für professionelle Reparaturbetriebe, inklusive Firmware und Diagnosetools.
- Vereinfachte Demontagevorgaben, sodass Geräte ohne Beschädigung geöffnet und repariert werden können.
Kurz gesagt: Reparatur ist kein nettes Extra mehr – sie wird zum festen Bestandteil des Produktlebenszyklus.

3️⃣ Verpflichtende Software-Updates: Kampf gegen geplante Obsoleszenz
Haltbare Hardware nützt wenig ohne langfristigen Softwaresupport. Künftig müssen Hersteller mindestens 5 Jahre lang nach dem Verkauf des letzten Geräts einer Modellreihe Betriebssystem-Updates bereitstellen. Diese Updates müssen die volle Funktionalität des Geräts während der gesamten Laufzeit sicherstellen.
Das ist ein klarer Schlag gegen geplante Obsoleszenz – und ein deutliches Signal: Software muss den Nutzer unterstützen, nicht zum Neukauf drängen.
4️⃣ Energielabel: Ein neues Maß an Transparenz für Verbraucher
Erstmals müssen Smartphones und Tablets ein EU-Energielabel tragen – ähnlich wie bei Kühlschränken oder Waschmaschinen. Dieses Label zeigt:
- Energieeffizienzklasse (A–G-Skala)
- Akkulaufzeit in realen Betriebsstunden
- Sturzfestigkeitsklasse
- Reparaturscore (A–E)
- Akkuzyklen-Stabilität
- IP-Schutzklasse
- QR-Code mit Zugriff auf alle technischen Daten
Vor allem der Reparaturscore bringt eine völlig neue Transparenz in den Markt. Verbraucher können Geräte nicht nur nach Preis und Leistung vergleichen – sondern auch danach, wie gut sie langfristig nutzbar und instandhaltbar sind.
Der neue Reparaturscore: Wie funktioniert er genau?
Eines der revolutionärsten Elemente der neuen EU-Verordnung ist die Einführung eines standardisierten Reparaturscores. Für Hersteller geht das weit über reine technische Vorgaben hinaus – es wird zu einer neuen Form von Produktreputation.
Wie der Reparaturscore berechnet wird
Der Reparaturscore, entwickelt vom Joint Research Centre der Europäischen Kommission (JRC), bewertet mehrere zentrale Faktoren:
- Demontagefreundlichkeit: Wie schnell und sicher lässt sich das Gerät ohne Spezialwerkzeuge und ohne Risiko für Schäden öffnen?
- Werkzeuganforderungen: Reichen Standardwerkzeuge aus, oder sind proprietäre Spezialwerkzeuge nötig?
- Verfügbarkeit von Ersatzteilen: Wie leicht zugänglich und bezahlbar sind Ersatzteile für zentrale Komponenten wie Akku, Display oder Ladebuchse?
- Zugriff auf Reparaturinformationen: Sind Reparaturanleitungen, Softwaretools und Diagnosesysteme für autorisierte Reparaturbetriebe frei zugänglich?
- Kostentransparenz: Werden Preise für Ersatzteile offengelegt und sind sie angemessen?
Das Ergebnis: Eine Bewertung von A bis E, die auf dem Energielabel klar sichtbar ist und es Kunden ermöglicht, die Reparierbarkeit von Geräten marken- und modellübergreifend sofort zu vergleichen.

Warum das für Vertrauen und Wiederverkaufswert entscheidend ist
Für Verbraucher schafft der Reparaturscore eine bisher nicht gekannte Transparenz. Er verwandelt vage Marketingversprechen in belastbare Daten. Geräte mit hoher Reparierbarkeit stehen für Qualität, Langlebigkeit und Markenintegrität – und beeinflussen Kaufentscheidungen direkt.
Doch es gibt eine zweite, oft unterschätzte Ebene: den Wiederverkaufswert.
Ein gut reparierbares Gerät behält länger seinen Wert auf dem Second-Hand-Markt. Trade-in-Plattformen, zertifizierte Refurbished-Programme und Drittanbieter werden bevorzugt Geräte ankaufen, die sich einfach und wirtschaftlich instand setzen lassen. In einem Markt mit rasant wachsendem Gebrauchtgeräteanteil wird der Reparaturscore damit zum entscheidenden Treiber für:
- Höhere Rückkaufpreise
- Längere Produktlebenszyklen
- Geringere Gesamtkosten für den Kunden
- Markenpositionierung als Nachhaltigkeitsführer
Kurz gesagt: Dieses Label ist nicht nur regulatorische Pflicht – es wird zu einem starken geschäftlichen Signal. Hersteller, die Reparierbarkeit frühzeitig aktiv gestalten, sichern sich klare Vorteile sowohl auf dem Erst- als auch auf dem Zweitmarkt.
Die geschäftlichen Chancen hinter den neuen Regeln
Manche Hersteller sehen in den neuen Vorgaben zunächst nur zusätzliche Hürden. Doch die eigentliche Chance liegt darin, den gesamten Produktlebenszyklus neu zu denken. Langlebige Geräte helfen nicht nur der Umwelt – sie eröffnen zahlreiche neue Kontaktpunkte, um Kunden langfristig zu binden und Umsätze weit über den Erstverkauf hinaus zu generieren.
Verlängerte Lebenszyklen in neue Umsatzquellen verwandeln
Wenn Geräte viele Jahre funktionstüchtig bleiben, werden Rückkauf- und Wiederverkaufsprogramme zu starken strategischen Hebeln. Anstatt Kunden nach dem Erstkauf zu verlieren, holen Marken durch Trade-in-Programme Altgeräte zurück ins eigene Ökosystem. Aufbereitete Geräte können dann:
- neue Kundengruppen ansprechen,
- zusätzliche Preissegmente erschließen,
- und attraktive Margen bei deutlich geringeren Produktionskosten erzielen.
Mit jedem weiteren Umlauf wächst die Kundenbeziehung und steigert sich der Customer Lifetime Value. Das physische Gerät mag mehrfach den Besitzer wechseln – die Bindung zur Marke bleibt bestehen.
Den Second-Hand-Markt kontrollieren – oder verlieren
Der Gebrauchtmarkt für Smartphones und Tablets boomt. Transparente Reparaturscores werden diesen Trend weiter beschleunigen, da Verbraucher und Drittanbieter die Qualität gebrauchter Geräte künftig noch einfacher einschätzen können. Wer als Hersteller diesen Markt nicht selbst aktiv bespielt, überlässt ihn anderen. Drittanbieter-Plattformen sichern sich bereits heute erhebliche Wiederverkaufswerte, die eigentlich bei den Marken selbst bleiben könnten.
Durch aktives Management von Rücknahme- und Wiederverkaufskanälen sichern sich Hersteller die Kontrolle über:
- Produktqualität und Standards
- Kundenerlebnis
- Preissetzung
- Markenwahrnehmung
- Zugang zu wertvollen Kundendaten
In einer transparenteren, reparierbareren Welt wird die Kontrolle über den Zweitmarkt zu einem zentralen Geschäftsfeld – nicht mehr nur eine Nebenaktivität.
Retouren senken, Garantieprozesse optimieren
Haltbarkeit wirkt sich auch auf der Kostenseite positiv aus. Wenn Geräte Stürze besser überstehen, wasserresistenter sind und die Akkuleistung über Jahre stabil bleibt, sinkt die Zahl der Frühdefekte deutlich. Das bedeutet:
- Weniger Garantieansprüche
- Geringere Retourenquoten
- Niedrigere Kosten in der Retourenlogistik
Langfristig führt höhere Fertigungsqualität nicht nur zu weniger Aufwand – sondern direkt zu stabileren Margen.
Wer ist betroffen: Für welche Geräte gelten die neuen EU-Regeln?
Die neuen Vorschriften decken eine breite Palette mobiler Endgeräte ab – aber längst nicht alle Produkte auf dem Markt. Hersteller müssen sorgfältig prüfen, ob ihr Portfolio in den Anwendungsbereich fällt.
Abgedeckt sind:
- Smartphones (mit Displays zwischen 4 und 7 Zoll)
- Feature Phones (einfache Mobiltelefone ohne App-Ökosystem)
- Kabellose Festnetztelefone mit Basisstation
- Slate Tablets (7 bis 17,4 Zoll, ohne Tastatur, mit iOS oder Android)
Ausgenommen sind:
- Tablets mit abnehmbarer Tastatur (meist Windows-basiert)
- Geräte mit flexiblen oder rollbaren Displays
- Spezial-Smartphones für hochsichere Kommunikation
Für die meisten klassischen Anbieter im europäischen Massenmarkt gilt: Der Großteil der aktuellen Smartphones und Tablets fällt jetzt unter die neuen Regeln. Nur ausgewählte Nischenprodukte bleiben vorerst außen vor.
Was Unternehmen jetzt tun sollten
Der regulatorische Fahrplan ist nicht mehr theoretisch – er ist Realität. Und auch wenn die Einhaltung Pflicht ist, können Unternehmen, die früh handeln, daraus einen Wettbewerbsvorteil machen.
Frühe Umsetzung schafft Markenstärke
Verbraucher legen immer mehr Wert auf Transparenz und langfristige Nutzbarkeit. Geräte mit hohem Reparaturscore und sichtbarem Energielabel stechen im Regal sofort hervor. Wer früh handelt, positioniert sich als Marke für Haltbarkeit, Vertrauen und Nachhaltigkeit – alles Faktoren, die Kaufentscheidungen heute maßgeblich beeinflussen.
Zirkuläre Geschäftsmodelle jetzt aufbauen
Die eigentliche Geschäftschance liegt weit jenseits der Mindestanforderungen. Hersteller, die schon heute Rücknahme-, Refurbishment- und zertifizierte Wiederverkaufsprogramme entwickeln, schaffen die Grundlage für:
- fortlaufende Kundenkontaktpunkte
- höheren Umsatz pro Produktlebenszyklus
- stärkere Kontrolle über den Zweitmarkt
Zirkularität ist längst kein Nebenthema mehr – sie wird zum zentralen Wachstumsmodell.
Partnernetzwerke für Reparatur, Aufbereitung und Wiederverkauf aufbauen
Kein Hersteller muss alle Schritte alleine abdecken. Die erfolgreichsten zirkulären Modelle bauen auf starken Ökosystemen: zertifizierte Reparaturpartner, Rücknahmelogistik, spezialisierte Refurbisher und digitale Plattformen, die den Lebenszyklus jedes Geräts transparent nachverfolgen. Wer diese Partnerschaften jetzt aufbaut, kann zirkuläre Prozesse effizient und profitabel skalieren.
Erst der Anfang: Die größere Kreislaufstrategie der EU für Elektronik
Die neuen Regeln für Smartphones und Tablets sind kein Einzelfall. Sie sind Teil einer umfassenden Strategie der EU, die systematisch alle Produktbereiche in Richtung Kreislaufwirtschaft transformiert. Elektronik ist lediglich einer der ersten Sektoren, in dem Kreislaufprinzipien nun verbindlich umgesetzt werden.
Im Rahmen des erweiterten Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft plant die EU ähnliche Vorgaben für zahlreiche weitere Produktkategorien – von Haushaltsgeräten und Industriemaschinen bis hin zu Möbeln und Textilien. Das Grundprinzip bleibt immer gleich: Lebenszyklen verlängern, Reparaturen ermöglichen, Ressourcenverbrauch senken und Wertschöpfung im Wirtschaftskreislauf halten, statt ihn als Abfall zu verlieren.
Für Unternehmen bedeutet das vor allem eines: Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft beschleunigt sich. Solche Verordnungen sind keine Einzelmaßnahmen mehr. Sie schaffen einen neuen Marktstandard, in dem Reparierbarkeit, Haltbarkeit und Kontrolle über den Zweitmarkt zur Grundanforderung werden – nicht mehr zur Kür.
Die Hersteller, die jetzt frühzeitig handeln, sichern sich nicht nur einen First-Mover-Vorteil. Sie bauen gleichzeitig operative Erfahrung, Partnernetzwerke und Datenkompetenz auf, die mit jeder Ausweitung dieser Prinzipien in weiteren Branchen wertvoller werden.
Kurz gesagt: Wer heute zirkuläre Geschäftsmodelle rund um Smartphones beherrscht, legt damit die Blaupause für das gesamte Produktportfolio von morgen.

